„Brander, lasst Euch gegen Corona impfen!“
Dr. Michael Ziemons aus Brand ist in der Städteregion Aachen Dezernent für Soziales und Gesundheit. In sein Ressort fallen alle Maßnahmen der Städteregion im Kampf gegen das Corona-Virus. Im Interview mit „Nöits op d’r Brand“ nimmt Dr. Ziemons Stellung zur aktuellen Situation.
Dr. Ziemons, wie stellt sich für Sie die derzeitige Corona-Situation dar?
Dr. Ziemons: Wir haben derzeit eine seltsame Lage! Wir haben auf der einen Seite zu viel Impfstoff und viele freie Impftermine, auf der anderen Seite gibt es in der Städteregion Aachen mehr als 100.000 Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Das sind die, die in der jetzt kommenden vierten Welle, die uns ohne Zweifel auch erwischen wird, als erstes erkranken.
Warum wollen sich die Impfverweigerer nicht impfen lassen? Wie ist Ihre Einschätzung?
Dr. Ziemons: Darunter befinden sich Menschen, die wirklich Angst haben, weil sie auf entsprechende Meldungen in den Medien stoßen, in denen von möglichen Nebenwirkungen und angeblichen oder erfundenen Langzeitfolgen schwadroniert wird. Sie werden dann unsicher und verzichten auf die Impfung. Dann gibt es noch Menschen, die auf Verschwörungstheorien reinfallen und diese auch gerne verbreiten. Außerdem gibt es die, die sich in der Rolle der Impfverweigerer gefallen. Man sieht das in Kommentaren auf Facebook, dass sie richtig stolz darauf sind, dass sie sich nicht impfen lassen und sich über dieses Dagegensein, über dieses Rebellentum eine seltsame Form von Bestätigung holen. Hinzu kommt aktuell die prekäre Situation, dass durch das Hochwasser das Krankenhaus Eschweiler erstmal ausfällt mit einer Notaufnahme und einer Intensivstation. Natürlich wird der Betrieb irgendwann wieder aufgenommen, aber eben nicht so schnell und nicht sofort in vollem Umfang. Dann wird es schwierig, wenn wir aufgrund von Corona wieder vermehrt Intensiv-einweisungen haben. Eines ist ja klar, bei 100.000 Menschen, die sich nicht haben impfen lassen, sind zu viele dabei, bei denen es später zu schweren Verläufen und Belegung auf der Intensivstation kommen kann.
Die Bundesregierung hat eine Verantwortung gegenüber ihren Bürgern im Land. Wie ist Ihre Meinung zur Einführung einer Impfpflicht?
Dr. Ziemons: Wir haben im Bereich Bildung und Gesundheit mit einer Zielgruppe zu tun, die sich nicht selber schützen kann. Wir haben im Bildungsbereich Kinder, die sich nicht impfen lassen dürfen, weil der Impfstoff für unter 12 Jahren nicht zugelassen ist. Wir haben im Gesundheitswesen oft mit Menschen zu tun, die nicht geimpft werden können, weil sie irgendwelche Krankheiten haben oder an Therapien teilnehmen. Da kann man drüber nachdenken, aber für eine Impfpflicht ist es zu früh. Eher befürworte ich, dass man sehr konsequent sagt, alle Öffnungen, die wir wieder ermöglichen wollen, müssen mit den drei Gs (geimpft, genesen, getestet) verknüpft werden. Wenn sich jemand nur für das Testen entscheidet, dann ist das irgendwann nichts mehr, wofür der Steuerzahler eintreten muss. Wer sich nicht impfen lassen möchte, warum soll dafür der Staat dauerhaft die Corona-Tests bezahlen? Jemand, der sich nicht impfen lässt, obwohl er könnte, verhält sich nachweislich unsolidarisch gegenüber der Gemeinschaft, erwartet aber wohl, dass die Gemeinschaft für ihn die Corona-Tests zahlt.
Wie ist denn die Impfbereitschaft im Stadtbezirk Brand?
Dr. Ziemons: Leider bekommen wir keine Auswertungen nach Postleitzahlen. Wir haben das dringend angefragt, damit wir zielgerichteter unseren Impfbus hinschicken können. In Westfalen gibt es das tatsächlich, in Nordrhein wird es uns leider verweigert. Wobei der Impfbus eine gute Sache ist. Wir stoßen immer wieder auf Menschen, die sich nicht impfen lassen wollten, die Gelegenheit dann aber wahrnehmen und sich doch impfen lassen. Mehr als ein Drittel der Impfungen im Impfbus werden mit dem Corona-Vakzin Johnson & Johnson gemacht. Mit dem Mittel muss man sich nur einmal impfen lassen. Mit so einer hohen Rate an Johnson & Johnson hatten wir nicht gerechnet, das zeigt aber, dass der Impfbus eine gute Idee ist.
Was macht diese Pandemie mit Ihnen?
Dr. Ziemons: Das Besondere an dieser Corona-Situation ist ja, dass wir jetzt seit 18 Monaten ständig veränderte Rahmenbedingungen haben. Wenn ich ein Sturmtief habe, dann habe ich eine Herausforderung, bei der klar ist, worum es geht und auf welcher Grundlage man handelt. Wir haben mit Corona aber ständig sich verändernde Situationen und Erkenntnisse und müssen immer wieder neu reagieren und das sehr schnell. Das haben wir ja gesehen: es kommt donnerstagsabends völlig unerwartet eine Stiko-Empfehlung, wehe wir haben sie freitagmorgens nicht umgesetzt. Das setzt einen total unter Druck. Wir haben jetzt ein Jahr durchgearbeitet – an allen Wochenenden und an allen Feiertagen. Am 23. Dezember kam der Startschuss für die Impfungen in den Seniorenzentren, die ab 26. Dezember umgesetzt werden mussten. Wir haben Neujahr durchgearbeitet mit Impfungen in den Seniorenheimen, wir haben Ostern durchgearbeitet, da gab es das Schneechaos und die Buchungsfehler der KV im Impfzentrum. Und jetzt stehen am Ende immer noch 100.000 Menschen da, die lassen sich nicht schützen und sorgen am Ende dafür, dass diese Krise viel länger dauert als nötig. Wenn wir weiterhin im Impfzentrum unsere volle Kapazität ausschöpfen könnten, würden wir 3.000 Menschen mehr täglich impfen können. Es macht mich fassungslos, dass diese Krise durch die Impfverweigerer länger dauert als nötig, obwohl so viele darunter leiden – Vereine, Einzelhandel, Gastronomie usw. – das macht mich echt fertig.
Was erwarten Sie von der vierten Welle mit der Delta-Variante?
Dr. Ziemons: Wir sind voll drin in der vierten Welle. Es geht genau das los, was wir in Portugal, in den Niederlanden und in England erlebt haben. Wir werden bei der jetzigen Impfquote wieder sehr hohe Inzidenzzahlen bekommen und damit verbunden natürlich auch eine Debatte, welche Maßnahmen bei welchen Inzidenzzahlen greifen. Die Debatten werden wir natürlich führen müssen, weil in der Tat viel mehr Menschen geimpft sind und man nicht mehr einfach so sagen kann, wir machen z.B. alle Restaurants zu. Warum auch, wenn doch ein relevanter Teil der Bevölkerung schon geimpft ist. Das wird gerade mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl im September noch viel Streit geben. Es wird sicher eine Debatte um den Karneval geben. Ich habe noch keine Idee, wie es im November aussieht. Das Problem für die Karnevalsvereine ist, dass sie langfristig planen müssen. Die Vereine sehen, die Zahlen gehen wieder hoch, und wissen nicht, was sie für ihre Veranstaltungen planen sollen. Ich hoffe, dass wir wenigstens für Vollgeimpfte und Genesene in der Session etwas möglich machen können. Allerdings hoffe ich derzeit, dass Karneval nicht wieder komplett ausfällt – das ließe sich bei einer Impfquote von 75% gut verhindern, derzeit haben wir allerdings 65%.
Das Interview wurde am 20. Juli geführt.
GSI