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Interview: Andreas Lux

Die Gesamtschule Brand befindet sich, wie alle Schulen in Nordrhein-Westfalen, in den Sommerferien. Hinter der Brander Lernzentrale liegen Monate des Corona-Lockdowns mit Schulschließung und verschiedenen Formen des Unterrichts. Nöits op d’r Brand hat sich mit Schulleiter Andreas Lux über die aktuelle Situation der Schule, die Nach-Lockdown-Zeit und die Pläne für das kommende Schuljahr unterhalten.

Herr Lux, kann man nach dem Corona-Lockdown und der Öffnung der Schulen wieder von einer wiedergekehrten Normalität hier an der Rombachstraße sprechen?

Andreas Lux: Normal ist es ja nur in Bezug auf den Unterricht, der stattfindet. Die Art und Weise, wie der Unterricht durchgeführt wird, ist fern der Normalität. Solange wir Sitzpläne haben, versuchen die Abstandsreglungen einzuhalten und Masken tragen, sind wir von normalem Unterricht weit entfernt. Das hat vor allem Konsequenzen für die Sozialisation der Kinder: Wie leben sie, wie leben sie miteinander, wie gestalten sie ihren Unterrichtsbetrieb, wie gestalten sie auch ihre Freundschaften? Alles das ist ganz stark verändert und noch lange nicht normal.

Stellt ihr Kollegium nach vielen Monaten der Pandemie Veränderungen an den Schülern fest?

Andreas Lux: Veränderungen verschiedenster Art. Zum einen gibt es Kinder, die auf der Ebene des Wissens und des Verständnisses zurückgefallen sind. Es sind vergleichsweise viele Kinder, die mit dem Distanzunterricht nicht klar gekommen sind. Es gibt sicherlich auch Kinder, die mit dem Distanzunterricht super gut klar gekommen sind, die sogar in dieser Unterrichtsform weiter gekommen sind als im Regelunterricht. Die Schere zwischen den Schüler*innen ist weiter auseinander gegangen. Die Kinder, die schon immer mit selbständigem Lernen zurechtgekommen sind, die sich selbst gut was beibringen können oder auch von zu Hause unterstützt werden, haben sich viel Wissen angeeignet. Andere Kinder sind weiter zurückgefallen. Die alte Schere ist deutlich erkennbar: Die Kinder mit Unterstützung von den Eltern haben die Situation für sich nutzen können; bei den anderen Kindern kann man fast von einem verlorenen Schuljahr sprechen. Auf Distanz kann man schlecht unterstützen; dreißig Kindern gerecht zu werden, ist fast unmöglich. Im Präsenzunterricht sieht man solche Kinder und kann helfend eingreifen. Im Distanzunterricht fehlen die Hilfsmöglichkeiten, die die Kinder sonst haben, wie z.B. die Hilfe untereinander.

Was bedeutet denn die aktuelle Gesamtsituation jetzt für das kommende Schuljahr?

Andreas Lux: Das weiß keiner so richtig. Bildung ist ja mehr als eine Anhäufung von Wissen. Vieles vergisst man sowieso wieder. Es kommt nicht darauf an, dass man geschlossen alles gelernt hat. In bestimmten Fächern, wie Mathematik, ist das schwieriger. Wenn man die Bruchrechnung nicht kann, wird es schwieriger an einigen Stellen. Gleiches gilt für einen gewissen Grammatikschatz oder Vokabeln. Aber in anderen Fächern, die exemplarischer sind, da hat man nicht so viel verloren. Unser Ziel muss es sein, diese Lücken zu finden und aufzuarbeiten, damit wir den Kindern passgerechte Unterstützung zukommen lassen können. Wir haben mit den Lernstationen schon entsprechende Orte dafür, an denen die Kinder gezielt unterstützt werden können. Aber letztlich läuft es immer darauf hinaus, dass die Kinder die Hilfe auch annehmen müssen und sie müssen sich beteiligen. Die Kinder, die sich nicht helfen lassen oder die Hilfe nicht annehmen, werden dann wohl ein Jahr wiederholen müssen. Das sehen wir jetzt schon, in den Klassen 9 und 10 haben wir mehr Schüler*innen, die das Schuljahr wiederholen als sonst.

Ist Ihren Schüler*innen bewusst, dass die Corona-Pandemie besondere Herausforderung seitens der Bildung an sie stellt?

Andreas Lux: Wir sprechen gerade viel über Bildung, aber es gibt noch den sozialen Bereich, wo wir feststellen, dass bestimmte Kinder große Schwierigkeiten haben. Wir haben Kinder, die sind völlig isoliert und vereinsamt, es wird für sie schwierig sein, da wieder rauszukommen. Möglicherweise ist therapeutische Unterstützung notwendig. Diese Hilfe gibt es. Wir haben über bestimmte Situationen verstärkt das Jugendamt informieren müssen. Es gibt schon Kinder, die gefährdet sind, die nicht mehr wissen, wie sie zurechtkommen, weil sie sehr einsam sind zum Beispiel. Auf der anderen Seite gibt es die Kinder, die eine positive Entwicklung durchmachen, die anfangen, für sich und ihr Leben mehr Verantwortung zu übernehmen. Und wir haben an der Schule Kinder, die schon vorher in schwierigen Situationen gelebt haben, für die jetzt alles zusammengebrochen ist. Es gibt bei den Kindern ganz viele verschiedene Wege durch die Pandemie, die man nicht vereinheitlichen kann.

Glauben Sie, dass diese Schüler*innen-Generation als „Generation Corona“ gebrandmarkt sein wird?

Andreas Lux: Nein, das glaube ich nicht! Ich glaube im Gegenteil, dass die Schüler*innen bestimmte Dinge mehr lernen als wir. In den letzten Jahrzehnten hat man gemerkt, dass immer mehr Menschen immer weniger Verantwortung übernehmen. Übernahme von Verantwortung ist ein Thema, welches in den letzten Jahren gerade im Ehrenamt aufgefallen ist. Es gibt immer weniger Menschen, die dazu bereit sind, sich für Vereine oder für die Gesellschaft ehrenamtlich einzusetzen. An dieser Stelle haben die Kinder viel gelernt. Das ist vielleicht für den weiteren Lebensweg wichtiger und hilfreicher als viele andere Kompetenzen. Das sollte man nicht unterschätzen. Ich glaube, dass die Kinder, die jetzt an unserer Schule Abitur machen, in Bezug auf Selbständigkeit eine ganze Menge mehr gelernt haben, als die Generation vorher. Möglicherweise sind sie dadurch studientauglicher. Sie wissen genau, was sie wollen oder nicht wollen. Sie lassen sich nicht auf ein Studium ein, das ihnen thematisch nicht liegt. Auch das kann ja eine wichtige Erkenntnis sein. Vielleicht werden jetzt die Quoten der Studienabbrecher geringer. Vielleicht gibt es aus dieser Erkenntnis heraus auch Kinder, die verstärkt eine Berufsausbildung machen möchten. Ich weiß es nicht, das werden wir hinterher sehen. Ich würde sie in keinem Fall als verlorene Generation bezeichnen.

Wie ist Ihr Lehrerkollegium mit dieser Krise umgegangen?

Andreas Lux: Für Lehrerinnen war diese Zeit unglaublich herausfordernd. Wir haben versucht, einen Weg zu finden, dass wir den Schülerinnen gerecht werden, ohne die Kolleginnen zu überfordern. Dies ist uns gut gelungen. Es gab schnell die Situation mit dem Distanzlernen, die eine Individualisierung fordert oder scheinbar gefordert hat, dass man jedes einzelne Kind in jedem Unterricht auf Distanz noch begutachten kann. Das geht nicht, das ist eine Utopie. Wir können nicht auf einmal von dreißig Kindern, die gemeinsam in einem Klassenraum sitzen, auf dreißig Kinder umstellen, die einzeln betreut werden. Das ist so nicht leistbar. Wir haben gute Wege gefunden, das zu vermitteln, was mal besser, aber auch mal schlechter geklappt hat. Es hat da Ecken und Kanten gegeben und es gab auch immer mal Kolleginnen, die sich überfordert gefühlt haben und auf der anderen Seite Eltern, die geglaubt haben, ihre Kinder werden nicht genügend unterstützt. Im Großen und Ganzen hat das gut geklappt. Wir haben mit den Eltern auch eine gute Form der Kommunikation gefunden. Sie haben immer gewusst, warum wir was machen und was dahinter steht.

Wie ist die Gesamtschule Brand, die für die Klasse 5 162 neue Schüler*innen aufnimmt, für das kommende Schuljahr in Bezug auf Präsenzunterricht aufgestellt?

Andreas Lux: Manches, was gefordert wird, ist sicher übertrieben, z.B. mit den Lüftern. Im letzten Jahr haben wir keine Lüfter gehabt und unsere Klassenräume sind auch nicht übermäßig groß und trotzdem war es gut möglich, mit regelmäßigem Lüften Ansteckungen zu vermeiden. Wir hatten trotz Mensabetrieb keinen Ansteckungsfall in der Schule. Wir hatten natürlich Corona-Fälle, aber keinen Fall, der eindeutig nachweislich in der Schule eine Infektion gehabt hat. Ich gehe nach meiner subjektiven Meinung davon aus, dass die Ansteckungsgefahr in der Schule nicht übermäßig groß gewesen ist. Die meisten Kinder, das war eindeutig, haben sich zu Hause über die Eltern und Geschwisterkinder angesteckt. An wenigen Orten wird so streng auf das Einhalten der Regeln geachtet wie in Schulen. Das mit den vielzitierten Lüftern ist aus meiner Sicht nicht zu Ende gedacht. Es geht ja eigentlich darum, dass die Kinder gute Luft haben. Die Lüfter werden niemals das Lüften durch die Fenster ersetzen, denn der CO2-Gehalt wird durch den Einsatz dieser Geräte kein bisschen verändert, sondern es werden nur die Viren mit UV-Strahlen zerstört. Das Lüften ist derzeit alternativlos und perspektivisch hoffen wir, dass wir in zwei Jahren über Corona hinweg sind, dann sind die Lüfter überflüssig.

Eineinhalb Jahre Corona-Pandemie in Deutschland. Welches Fazit ziehen Sie für Ihre Schule?

Andreas Lux: Wir sind im Vergleich zu anderen Schulen relativ gut zurecht gekommen. Wir waren, auch was die neuen Medien angeht, rechtzeitig an der richtigen Stelle. Aber wenn ich sage, wir sind gut durchgekommen, dann kann ich nicht sagen, dass die Situation gut war. Und ob man es hätte besser machen können, da habe ich eine private Meinung zu wie jeder andere auch. Ich hoffe, dass unsere Kinder und Jugendlichen in eine gewisse Normalität zurückkehren können.

GSI