Interview mit Sibylle Keupen, Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen
Seit Anfang November 2020 ist Sibylle Keupen die Oberbürgermeisterin der Stadt Aachen. Sie ist nicht nur oberste Repräsentantin der Kaiserstadt, sondern als Oberbürgermeisterin auch die Chefin von mehreren tausend Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung Aachen. Was sich seit ihrem Amtsantritt in der Stadt getan hat und ob die Corona-Pandemie ihre neue Tätigkeit bremst, darüber hat sie mit dem Stadtteilmagazin „Nöits op d‘r Brand“ gesprochen.
Sind Sie angekommen in Ihrer neuen Tätigkeit als Oberbürgermeisterin?
Sibylle Keupen: Viele Dinge haben sich eingespielt. Wir haben das Referententeam der Oberbürgermeisterin personell neu aufgestellt. Die Stimmung ist gut, wir arbeiten gut zusammen. Das haben wir gut hinbekommen. Wir wissen jetzt, wie die Dinge laufen, was von uns erwartet wird, und wir haben auch unsere Themen noch stärker fokussiert. Was ich lerne, ist geduldig zu sein. Das ist vielleicht eine Essenz aus dem ersten halben Jahr im Amt: Dass die Dinge in einer Verwaltung intensiver bearbeitet werden und länger brauchen, als ich das gewohnt war.
Wurden Sie davon überrascht, dass die Bürokratie in der Stadtverwaltung größer geschrieben wird als in der Bleiberger Fabrik?
Sibylle Keupen: Ich habe natürlich damit gerechnet, aber wenn man es konkret erlebt, dann ist das eine andere Erfahrung. Es gibt ein Spannungsfeld zwischen Theorie und Umsetzung, das sind Prozesse, die dauern. Wir sind mit vielen Themen angetreten, die jetzt neu sind für die Verwaltung und wo es keine Expertise gibt. Dazu gehört, z.B. der Bürgerinnen-Dialog, der von mir auch noch mal stark reingetragen wurde. Es gibt viele Beteiligungsverfahren, die auch schon im Baubereich und planungsrechtlichen Bereich laufen. Es gibt das Bürgerforum, aber das Thema Bürgerinnendialog durch die gesamte Verwaltung zu ziehen, ist eine strukturelle Aufgabe, die herausfordernd ist. Das Thema ist jetzt schon stärker im Bewusstsein, es fehlten noch ein wenig das Handwerkszeug und die Struktur. Das ist aber schon ein guter Erfolg für das erste halbe Jahr.
Also haben Sie mit neuen Themen die Verwaltung überrascht?
Sibylle Keupen: Das war auch der Plan! Dafür bin ich angetreten. Ich bin ja eine Quereinsteigerin, was meine fehlenden Erfahrungen in den politischen Gremien und im Verwaltungstechnischen mit seinen Abläufen anbelangt. Das bringt nochmal einen anderen Blick sowie einen anderen Ansatz in die Verwaltung und das ist für die Verwaltung natürlich genauso eine Herausforderung wie für mich. Aber es ist auch eine Chance, weil natürlich Dinge noch mal neu hinterfragt und bewertet werden und dadurch die Chance entsteht, dass sich die Verwaltung noch mal neu orientiert. Es ist, glaube ich, in den Zeiten, in denen wir uns aktuell befinden, wo wir viel über die notwendige Wende sprechen – über die Mobilitätswende und über die Klimawende – wichtig, dass wir auch eine veränderte Haltung und Kultur in die Verwaltung bringen. Die veränderte Kultur ist der Dialog, der Bürger*innen-Dialog, der ein Stück weit das Verwaltungshandeln neu prägt.
Frau Oberbürgermeisterin, Sie sprachen eben Ihre fehlende politische Erfahrung an. Bewerten Sie das eher positiv oder negativ, wenn man frisch ein neues Amt antreten kann?
Sibylle Keupen: Politische Erfahrung habe ich ja durchaus – das Leben ist politisch, jedes Handeln in der Gesellschaft ist politisch – aber eben nicht in der Struktur von Rat und Ausschüssen in der Kommunalpolitik, mit der ich jetzt tagtäglich zu tun habe. Da ist es aber auch von Vorteil, noch mal von außen darauf zu gucken und noch nicht so tief in dieser Mühle drin zu stecken. Politische Arbeit braucht Veränderung! Wir haben jetzt im Bürgerforum über den Bürgerrat gesprochen, die Initiative hierfür kam übrigens aus Brand. Das ist mir ein wichtiges Thema, weil es auch zeigt, wie drängend der Wunsch der Bürger und Bürgerinnen ist, sich zu beteiligen. Das ist ein Pfund, mit dem wir wuchern können. Wie wir das jetzt zusammenbringen mit den politischen Strukturen, die wir haben, das wird sich in der Ausarbeitung zeigen.
Hatten Sie als Oberbürgermeisterin aller Aachener*innen während des Corona-Lockdowns die Gelegenheit, die Stadtbezirke zu besuchen und kennenzulernen?
Sibylle Keupen: Das ist ja während der Corona-Pandemie nicht so einfach. Ich werde im Sommer eine Tour durch die Bezirke machen. Mit den Bezirksämtern und den Amtsleitungen und den Bezirksbürgermeisterinnen bin ich im engen Kontakt, und es werden Bezirksspaziergänge geplant, bei denen ich mit den Menschen aus den Bezirken unterwegs bin, mir die Dinge ansehe, die da in Arbeit sind und ich mit ihnen in einen Austausch komme. Die Bezirke sind mir ganz wichtig, denn es sind ja die Außenstellen des Rathauses. Die Bezirksämter sind wichtige Außenposten für mich, die eine ganz wesentliche Funktion für den Bürgerinnen-Dialog haben. Sie sind quasi die Kümmerer vor Ort. Die Arbeit ohne den konkreten Kontakt mit den Menschen vom Amtszimmer aus ist für mich eine Situation, die ich nicht gut aushalten kann, weil ich ein Mensch bin, der viel lieber in Kommunikation und Bewegung ist. Aber das wird besser und wir haben ja gelernt, auch online gut zu kommunizieren.
Thema: Radvorrangroute
Sibylle Keupen: Ich wünsche mir, dass die erste Radvorrang-route schnell fertig gestellt und von Nutzerinnen und Nutzern wie Anwohnerinnen und Anwohnern gleichermaßen begeistert gefeiert wird. Das ist aber ein Wunsch, den werde ich mir für Weihnachten aufbewahren. Die Neuaufteilung des Straßenraums ist eine schwierige Aufgabe: Die einen kämpfen für den Erhalt ihres Parkplatzes, andere für einen breiten Gehweg, wieder andere für einen sicheren Radweg. Insgesamt bedeutet jede Neuplanung eine Veränderung für die Menschen, die da konkret leben. Das ist eine Veränderung des Alltagshandelns – für die einen ist das gut, für die anderen schlecht. Wir müssen immer das große Ganze in den Fokus nehmen und versuchen, aus der gewohnten Situation, die uns so vertraut ist, nach vorne zu gehen in eine Zukunft, die wir noch nicht kennen, die wir aber jetzt gestalten müssen. Das macht es schwierig. Wir wissen, wir brauchen sichere Fußwege, sichere Radwege und wir müssen den öffentlichen Raum noch einmal anders verteilen. Das Vorrecht auf einen Parkplatz vor dem Haus, öffentlich finanziert, ist ein Luxus, den wir uns in Aachen nicht mehr an jeder Stelle werden leisten können. Dafür ist die Stadt zu eng. Es müssen in diesem neuen Mobilitätskonzept alle ihren Platz haben. Da geht es vom Kind, das sicher unterwegs sein muss, über den Senior mit seinem Rollator, den Fahrradfahrer, der von Brand in die Innenstadt fährt, bis zur Pflegerin im Uniklinikum, die mit ihrem Auto zur Frühschicht fahren muss, weil der Bus nicht fährt. Sie alle brauchen gute Bedingungen; sie müssen miteinander gestaltet werden und nicht gegeneinander. Das ist meine Aufgabe als Oberbürgermeisterin. Die Aufgabe der Oberbürgermeisterin ist auch die des Interessenausgleichs, der Vermittlung, des Abwägens der Interessen aller Bürger und Bürgerinnen. Ich bin nicht die Oberbürgermeisterin eines Fortbewegungsmittels.
Immer wieder kommt in Brand das Thema Euregio-Tram auf. Wie ist der aktuelle Stand?
Sibylle Keupen: Die Euregio-Tram ist in der Machbarkeitsuntersuchung, d.h. wir sind jetzt dabei, Streckenverläufe genauer zu prüfen. Was die Machbarkeitsstudie ergeben hat, ist, dass sich die Anbindung an den Südraum zumindest derzeit nicht wirtschaftlich abbilden lässt, deshalb ist da der Weg, erstmal auf die schnellen Achsen mit den Schnellbussen zu setzen, um eine gute Anbindung sicherzustellen. Deshalb konzentriert sich die Regio-Tram-Planung auf den Nordkreis. Zunächst geht es also um die Anbindung von Baesweiler, Alsdorf und Würselen. Wenn wir diese Anbindung hinbekommen haben, können wir weitersehen. Es geht jetzt darum, den Prozess für diesen Abschnitt gut zu begleiten, die Menschen gut zu informieren und eine hohe Akzeptanz zu schaffen. Die Regio-Tram ist in jedem Fall für mich das Fortbewegungsmittel, das wir brauchen, um den Norden an Aachen anzubinden. Wir haben täglich 66.000 Pendlerinnen und Pendler aus dem Norden nach Aachen. Das ist eine ganz starke Achse, da brauchen wir die Regio-Tram. Die Einwohnerzahl in Brand wächst durch die Neubaugebiete stetig, aber auf der anderen Seite siecht der Einzelhandel dahin und hat Todesängste.
Welche Maßnahmen kann die Stadt Aachen ergreifen?
Sibylle Keupen: Das ist ein Problem, das wir in der ganzen Stadt haben. Brand hat sich in den letzten Jahren gut entwickelt, aus meiner Sicht auch, was den Handel angeht. Im Gegensatz zu anderen Bezirken, in denen der Handel ganz zurückgegangen ist, haben sich in Brand immer wieder neue Ansiedlungen gefunden, sodass der Kern von Brand sehr lebendig war und ist. Aber natürlich trifft Brand, genau wie die Innenstadt, auch Corona und die Folgen des verstärkten Onlinehandels. Wir sind seit 15 Monaten im Lockdown, die meiste Zeit konnte der Handel nicht öffnen und das ist natürlich für kleine, inhabergeführte Geschäfte ganz schwierig zu kompensieren. Von daher müssen wir, genauso wie wir das in der Innenstadt machen, natürlich auch die Bezirke ermuntern, gerade jetzt, wenn es langsam wieder Öffnungen gibt, gemeinsam gute Angebote zu machen und mit kleinen Events zu flankieren, damit die Menschen auch wieder im Bezirk unterwegs sind und der Handel davon profitiert. Das, was wir als Verwaltung und auch als bezirkliche Gemeinschaft machen können – und da ist Brand ganz stark im zwischenmenschlichen Engagement –, sind kleinere Veranstaltungen oder vielleicht Motto-Wochen, dies ergänzt mit kulturellen Angeboten, damit es wieder attraktiv ist, das Zentrum von Brand rund um den Markt und den Handel zu besuchen.
Red./Foto: Jo Magrean/Stadt Aachen