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Drei Fragen an: Dr. Michael Ziemons

Dr. Michael Ziemons, wie schätzen Sie die aktuelle Pandemie-Situation als Gesundheitsdezernent der Städteregion Aachen ein?

Dr. Ziemons: Wir sind mal wieder an einem sehr diffizilen Punkt angekommen. Ein schwächer gewordenes Virus trifft auf eine in immer größerem Umfang geimpfte, meist auch schon geboosterte Bevölkerung. Und man muss auch sagen: Wer dreimal geimpft ist, für den hat diese Krankheit ihren Schrecken verloren. Während es also einen immer größeren Teil der Bevölkerung gibt, die dringend wieder ihr altes Leben zurück bekommen sollten, bleibt ein zu großer Teil der Bevölkerung ungeimpft oder nicht ausreichend geimpft und gefährdet die Krankenhausinfrastruktur. Wir müssen also vorsichtig bleiben und gleichzeitig anfangen zu lernen, dass Covid-19 eine ganz normale Krankheit werden kann.

Karneval war in Griffweite, und doch kam die Absage. War das nötig? Auch in Bezug auf die Umzüge?

Dr. Ziemons: Dass gleich so pauschal alles abgesagt werden musste, fand ich sehr schade. Und auch, dass es überhaupt nötig ist, wieder eine Session im Grunde ausfallen zu lassen, fand ich traurig. Karneval ist ja mehr als ein Brauchtum, mehr als eine Tradition oder irgendein Hobby, es ist halt auch ein Lebensgefühl. Ein Weg, Dampf und Stress abzulassen, unbefangen und unbeschwert Spaß zu haben. Und diese Lebensfreude, diese Leichtigkeit, die hätten wir ja nun wirklich gebraucht. Und wenn ich die Ehrenamtlichen sehe, die Kinder, die soviel Arbeit und Energie investiert haben, da blutet das Herz. Aber gerade bei Veranstaltungen in Innenräumen oder bei den Zügen, wo – ohne dass das kontrolliert werden kann – große Menschenmengen, oft alkoholisiert und damit weniger vorsichtig, eng zusammenkommen, besteht eben eine Gefahr, so lange es noch so viele Menschen gibt, die nicht genug geschützt sind. Wenn es im Freien Veranstaltungen geben könnte, wo auch der Zugang kontrolliert werden kann, würde mich das sehr freuen. Aber klar ist auch: Das ist nicht unser Karneval, wie wir ihn lieben, das wird es erst in der nächsten Session wieder geben können.

Was bringt uns die Zukunft? Wie geht es weiter mit impfen, testen und Einschränkungen?

Dr. Ziemons: Die Pandemie ist im Grunde wie ein matschiger Weg, wo jeder Karren im Dreck stecken bleibt. Je besser ich den Weg befestige, mit jeder Schaufel Kies oder je mehr Bohlen ich darauf lege, desto besser kommt der Wagen voran. Und mit den drei Impfungen wird es für die meisten Menschen eine ganz normale Krankheit werden, an die wir uns gewöhnen müssen, aber mit der wir leben können. Das wird auch nicht leicht werden, gerade in Bereichen, wo Menschen zu recht große Angst hatten. Ich rechne natürlich mit neuen Varianten, gegen die auch angepasste Impfungen nötig sein werden. Aber ich hoffe, und ich meine, diese Hoffnung ist nicht unbegründet, dass es auf jährlich angepasste Impfungen analog der Grippe hinauslaufen wird. Und dann wird die größte Aufgabe der Kommunen, Länder und des Bundes sein, die Strukturen wieder ans Laufen zu kriegen. Die Einzelhändler, Gastronomen, die Vereine, die Kultur, das Brauchtum, der Sport aber auch viele gesellschaftliche Personengruppen brauchen gezielte Förderung. Das ist zu groß für eine Städteregion Aachen alleine, das wird eine große gesellschaftliche Aufgabe, die zu fördern und stärken, die bisher auf der Strecke geblieben sind. Und es gilt, die Lehren aus der Pandemie zu ziehen: ein robustes Gesundheitswesen in allen Bereichen, und ein starker Staat in diesem Bereich sind ja doch nicht so verzichtbar, wie man uns jahrelang erzählt hat.
Red./Foto: GSi